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Geträumter Seitensprung

Im Gegensatz zum amerikanischen Angebot gibt es in unseren Breitengraden auf Netflix noch immer nicht die Genrekategorie „Queer Cinema“. Es ist deshalb nicht immer ganz einfach den Überblick über das Angebot an Filmen und Serien zu behalten, die sich LGBTIQ*-Themen widmen. Umso mehr freue ich mich dann aber auch immer, wenn ich durch Zufall auf einen solchen Film treffe. So geschehen, als ich vor einiger Zeit unter dem Stichwort „Kürzlich Hinzugefügt“ auf den Film „People You May Know“ stieß.

In „People You May Know“ geht es um eine Freundesgruppe, alle um die vierzig Jahre alt und in Los Angeles wohnend, die ziemlich viel über Skype kommuniziert und wirklich jede*r Einzelne irgendwie einsam und verloren wirkend. Ihre Leben stürzen in zusätzliches Chaos, als Delia (die eigentlich in fester Hand ist, allerdings ist ihr Partner Rodrigo gerade berufsmäßig für mehrere Monate irgendwo anders – wo wir wieder beim vielen skypen wären) nach einer verdrogten Nacht, mit ihrem schwulen besten Freund Joe schläft und zu allem Überfluss auch noch schwanger wird (Oops).

Besonderes Interesse – das kommt vielleicht nicht von ganz ungefähr, bedenkt man, dass mein Freund mir zuletzt eröffnet hat, dass er über Webcam mit anderen Männern zwecks gemeinsamen Masturbierens in Kontakt tritt – hatte ich jedoch an einem Nebenhandlungsstrang. Der schwule Joe schwängert in diesem Film nicht nur seine beste Freundin, er skyped auch ständig mit einem fremden Mann und tauscht mit ihm sexuelle Phantasien aus. Nachts träumt er dann von wildem Sex mit jenem Fremden, von dem er eigentlich bloß eine handvoll Fotos kennt. Ich interpretierte diese Szenen, als Träume vom Fremdgehen, da Joe und Herbert (ebenfalls ein Mitglied dieser Freundesgruppe und ebenfalls schwul) in ihrer Interaktion miteinander wie ein altes Ehepaar einer sexless marriage wirken. Und als ich endlich verstand, dass sie eigentlich nur beste Freunde sind, war es bereits zu spät – in meinem Kopf arbeitet es bereits und ich stelle mir die Frage:

Ist ein imaginärer Seitensprung irgendwie auch ein Seitensprung?

Zuallererst erinnere ich mich bei diesem Denkprozess daran, wie mir Jana ein paar Mal morgens ihre verrückten Träume via WhatsApp erzählt hat, als sie noch in einer Beziehung war. Da ihre Freundin fürs Studium ein Semester im Ausland war, waren dabei nicht gerade wenige Sexträume dabei, teils mit wirklich ungewöhnlichen Storylines. Diese führten wir Hobbypsychoanalytiker, auf diese fehlende Intimität zurück.

Genaugenommen bin ich aber eigentlich unglaublich schlecht darin Träume zu deuten. Wenn es darum geht ein paar Grundsätze abzustecken: Ja, ich glaube (in Freud’scher Manier) an ein Es, das verdrängtes Verlangen im Schlafzustand aus dem Unterbewusstsein hervorholt. Im Traumzustand wird dann zum Teil ausgelebt, was unbewusst ersehnt wird. Nur stellen eben meine eigenen Träume oftmals Antithesen dieser Aussage dar. Mir passiert es nämlich gar nicht mal so selten, dass ich im Traum Sex mit einer Person habe, über deren Namen ich viele Stunden nach dem Aufstehen noch grüble. Menschen, die nicht nur Statistenrollen in meinem Leben übernommen haben, sondern oft auch solche, die ich (sowohl im Wachzustand, als auch manchmal bereits im Traum) nicht im mindesten als attraktiv bezeichnen würde und mit denen Sex zu haben wirklich nicht als „Wunsch“ bezeichnet werden könnte. Vielleicht liegt es deswegen auch genau daran, dass ich Seitensprüngen in Träumen keine Bedeutung beimesse: Weil es bei mir fast nie einen Seitensprung im Traum gibt, den ich im wahren Leben wiederholen wollen würde – selbst wenn ich gefühlten Ewigkeiten endlich auf die Namen der Person gekommen bin, die im Traum meine Sexpartner gewesen sind.

Aber was ist mit den Seitensprüngen in Tagträumen? Was ist mit den Internetbekanntschaften, den Freund*innen, Freundesfreund*innen, Kommiliton*innen oder Kolleg*innen mit denen man sich im Geheimen einen Seitensprung phantasiert?

Nun, es ist ja sowieso alles andere als unmenschlich in manchen Situationen von Trieben gesteuert zu sein. Meiner Meinung nach wäre hier am entscheidendsten, ob man jene Phantasien auch in die Wahrheit umsetzen wollen würde. Genauso kann man für mich auch Sexting nicht einfach mit einem Seitensprung gleichsetzen. Ein detaillierter Austausch darüber, was man machen würde, wenn man miteinander schlafen würde, ist nicht gleich eine Anleitung um es 1:1 umzusetzen. Offenheit gegenüber dem*r eigenen Partner*in ist trotzdem angebracht, denn es ist nichts, was man gerne durch Zufall herausfinden möchte. Aber mal so als Beispiel: wenn man sich anfängt Vorwände auszudenken, unter denen man mit dem*r besten Freund*in des Partners Zeit allein verbringen kann (im schlimmsten Fall gar um Phantasien doch auch in Taten umzusetzen) ist es vielleicht Zeit eine offene Partnerschaft in Erwägung zu ziehen. Noch besser – am Besten gleich die Trennung einzuleiten, denn es würde wohl kaum Jemand zustimmen, dass der*die eigene Partner*in mit dem*r eigenen besten Freund*in schläft…

Und trotz des Bewusstseins, dass solche Phantasien erstmal nur das sind: Triebe, die erstmal nichts mit der Realität zu tun haben, fällt es nicht immer einfach dem*r Partner*in dabei zuzuschauen, wie er*sie anderen (zu allem Überfluss zumeist auch noch sexy) Menschen hinterherschaut. Gerade am Anfang einer Beziehung wird man diesbezüglich schnell eifersüchtig. Meine Erfahrung ist bisher jedoch: Je gefestigter eine Beziehung ist, desto stärker das Bewusstsein dafür, wie albern es ist kontrollieren zu wollen, was der*die Partner*in denkt oder gar träumt.

Einhundertprozentige Sicherheit kann es in keiner Beziehung geben, aber wenn man sich vor Augen halten kann, dass die eigenen Sexträume keine weitere Bedeutung haben, sollte man diese auch dem*r Partner*in zugestehen. Sofern es keine Gründe zum Verdacht gibt, wird es dem*r Partner*in bestimmt auch so gehen; also auch ein kleiner Freibrief ebenso den eigenen Phantasien hin und wieder mal ein bisschen nachzuhängen.

Abschließend noch ein Spoiler zum Film „People you may know“ (also nicht weiterlesen, wenn du den Film noch schauen magst (an dieser Stelle sei auch geraten dann vielleicht auch besser nicht den Trailer zu schauen, denn da wird dieser plotpoint ebenfalls bereits verraten)); der vermeintlich-interessante Fremde aus dem Internet stellte sich schlussendlich als catfish heraus. Wahrscheinlich ist also im allgemeinen Vorsicht geboten, welcher virtuellen Bekanntschaft man überproportional viel Aufmerksamkeit schenken sollte und was man mit wem „teilt“ – seien es schmutzige Gedanken oder sogar privates Bildmaterial.

 

 

Wie immer – vielen vielen Dank für das Lesen meines Blogbeitrags. Die lange Pause, die dieser Blog gemacht hat, hat zum Glück zum Kräfte tanken beigetragen. Regelmäßige Einträge bekomme ich dann hoffentlich erstmal wieder besser hin. Gays and the City ist in den weniger turbulenten Zeiten meines Privatlebens eine (mehr oder weniger) wöchentliche, wienerische Kolumne rund um Beziehung, Dating, Sex und Toleranz. Neue Artikel erscheinen (planmäßig) jeden Montag. Beste Grüße & eine schöne Woche!

Zur causa „Queeres Kino“ auf Netflix noch ein kleiner Trick: Unter dem Link https://www.netflix.com/browse/genre/5977 lässt sich das (überschaubare) Angebot von „LGBT-Filmen“ auf der Netflixseite direkt anzeigen. Für alle Nutzerinnen und Nutzer: Frohes Streaming.

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