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Kompromisse

Nachdem einer meiner besten Freunde Daniel zuletzt beim betrunkenen Gespräch in einer Bar enthüllt hatte, wie stark er scheinbar noch an seinem Exfreund hängt – zum Beispiel plagten ihn noch immer Sexträume mit ihm – überlegte ich mir, dass es wahrscheinlich eine gute Idee wäre ihn nochmal in trauter Zweisamkeit darauf anzusprechen und ihm damit nochmal Raum zu geben sich mir weiter zu öffnen, wenn er das wollen würde. Also traf ich ihn Anfang letzter Woche am Uni Campus zwischen zwei Lehrveranstaltungen. Wir kauften ein paar Sandwiches und Schokomilch beim Billa und setzten uns auf eine Bank im großen Innenhof. Als ich ihn direkt auf das Thema ansprach dauerte es nicht lange und er begann mir von seiner damaligen Beziehung, der ziemlich klaren Hierarchie zwischen sich und seinem Exfreund und dem eigentlichen Trennungsgrund zu erzählen.

Daniel und sein Ex durchlebten bereits vor ihrer Trennung ein ziemliches auf und ab, dass sich zuspitzte, als zur Sprache kam, dass besagter Exfreund gerne wieder in sein Heimatdorf in Kärnten ziehen wollen würde. Das stellte die Beziehung auf eine Belastungsprobe, denn weder wollte Daniel Wien verlassen (vor allem nicht für ein Dorfleben in Kärnten) noch wollte er, verliebt wie er seit Beziehungsbeginn war, seinen damaligen Partner verlieren. Doch für Daniels Exfreund war an Zugeständnisse nicht zu denken. Anscheinend war er im allgemeinen nicht besonders gut darin nachzugeben – weder in kleinen, noch in großen Fragen. Die Entscheidung, die Daniel von nun an schlaflose Nächte kostete, erübrigte sich mit einem Mal, als Daniels Ex ihm – für Daniel völlig aus dem Nichts – seine Trennungsabsichten eröffnete.

Bis hierhin hatte ich Daniel sehr aufmerksam zugehört, bevor er jedoch weiter sprechen konnte, unterbrach ich Daniel um nachzufragen, ob er glaubte es hätte sich gelohnt für diesen Typen Wien zu verlassen, ob er es wirklich ernsthaft für sich erwogen hatte und wenn ja, wie er es sich genau vorgestellt hatte. In Gedanken blieb ich sofort bei folgender Frage hängen:

Welche Kompromisse sind es wirklich wert?

Je länger ich darüber nachdachte, desto mehr interessierte ich mich die Thematik. Es schien bei fast allen Freund*innen in Beziehungen eine allgegenwärtige Frage zu sein, weil Beziehungen anscheinend in erster Linie auf Kompromissen fußen. Das beginnt wahrscheinlich damit, dass „sich in eine Beziehung begeben“ schon wie ein Kompromiss wirken kann: Von nun an ist man gezwungen in manchen Situationen „für zwei“ zu denken; bestenfalls erhält man im Gegenzug eine Beziehung, die auf persönlicher Ebene viel zu geben hat.

Es geht über kleine Entscheidungen im Supermarkt – wenn es um Käsesorten geht, mag der*die ein*e Person Emmentaler, der*die Partner*in jedoch nur Gouda, also wird „Käseaufschnitt“ mit drei Scheiben Gouda, drei Scheiben Tilsiter und einer Scheibe Emmentaler gekauft, denn nun haben beide Personen ein bisschen was von ihrem Käse und mit Tilsiter können beide Leben – bis hin zu den großen Fragen, wie es miteinander weitergehen soll. Wie kompatibel sind die erträumten Lebenswege? Wo macht man Abstriche? Ab wann schadet man sich durch das Einwilligen von Zugeständnissen selbst?

Carrie Bradshaw hat sich in der vierten Staffel von Sex and the City eine ähnliche Frage gestellt: „Relationships (no matter how good) are inevitably a series of compromises. But how much of us should we be willing to sacrifice to the other person before we stop being ourselves? In a relationship when does the art of compromise …become compromising?“ Ironischerweise stammt dieses Zitat aus einer Folge in der ihr Partner Aiden sie davon überzeugt mit ihm einen Trip zu seiner selbstrenovierten Waldhütte zu machen. Carrie, die sich ohne Wenn und Aber als ein citygirl begreift, stimmt ziemlich widerwillig zu und durchleidet mit ihrem Aufenthalt einen ihrer persönlichen Alpträume (den wahrscheinlich nur Menschen wirklich nachvollziehen können, die ebenfalls Angst vor Oachkatzln haben?)

Daniel hat tatsächlich erwogen in das kleine Dorf zu ziehen, aber Sorgen hat er sich schon auch gemacht – allein schon, weil sich aus seinem Studium jetzt nicht automatisch ein Job ergibt, für den es am Land massenhaft Nachfrage gäbe. Aber verliebt macht man ja manchmal auch verrückte Sachen. So viel Verständnis ich dafür auch aufbringen kann, meine persönliche Prämisse bei Entscheidungen wie diesen lautet, dass man, wofür man sich auch entscheidet, damit so gut leben können müsste, um dem*der Partner*in nicht irgendwann (ob unterbewusst oder ganz direkt) heftigste Vorwürfe à la: „FÜR DICH BIN ICH INS NIEMANDSLAND GEZOGEN!!!“ zu machen. Man muss quasi so gut damit zurechtkommen, dass man es sich selbst wie eine eigene Entscheidung verkaufen kann, die auch persönliche Vorteile mit sich brachte, also eine, die man auch ohne Partner*in theoretisch irgendwie hätte treffen können.

Wir können uns letztlich sicher alle darauf einigen, dass es weder besonders produktiv ist stetig nur den eigenen Kopf durchsetzen zu wollen. Deswegen ist die Idee eines Mittelweges wohl erstmal die logischste. Doch auch das stellt ja in vielen Fällen eine Vereinfachung dar. Wieso sollte es bei konträren Meinungen immer einen Mittelweg geben, mit dem beide Parteien leben können?

Wenn man also die leitende Frage, welche Kompromisse es wirklich wert seien auf Daniel Problem anwendet, so würde ich sagen, dass wir es hier mit einem Kompromiss zu tun hätten, der es nicht wirklich wert wäre ihn einzugehen. Womöglich ist der Kompromiss im allgemeinen zwar die beste Lösung, vielleicht liegt das Problem nämlich vielmehr darin zu erkennen, wann ein Kompromiss überhaupt ein Kompromiss ist. Seine Heimat zu wechseln, ohne das wirklich zu wollen, zählt da nicht unbedingt dazu. Dafür bedürfte es schließlich Zugeständnisse von beiden Seiten und wie würden solche in diesem Fall für Daniels Partner genau ausgesehen? „Ich bekomme zwar meinen Willen, was unsere Wohnsituation anbelangt, aber dafür hast du mich als Beziehungspartner nicht verloren“? Nicht sehr überzeugend!

Und vielleicht hat auch Daniels Exfreund das genau so gesehen. Was den Trennungsgrund anbelangte, hat er ziemlich vage Aussagen darüber gemacht, dass er sich irgendwie über die Zeit „entliebt“ habe. Später hat er dann jedoch angedeutet, dass ihm Daniel etwas zu viel geworden sei. Es kam ihm fast so vor, als hätte er Daniel dazu bekommen können alles aufzugeben, wenn er ihn bloß darum gebeten hätte. Das fing an ihm Angst zu machen. Natürlich – Jemand anderem nur hinterher zu rennen wird irgendwann ziemlich unsexy. Auch das ist eine Gefahr, die Liebe manchmal mit sich bringt. Dass man den Kopf für das, was man selber will verliert.

 

Wie immer – tausend Dank für das Lesen meines kleinen Blogs. Gays and the City ist eine wöchentliche Kolumne rund um Beziehung, Dating, Sex und Toleranz. Neue Artikel erscheinen (planmäßig) jeden Montag.

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