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Right Now

Der „Sex jetzt?“-Frage ist wohl jeder schon Mal begegnet, der sich hin und wieder auf Onlinedatingplattformen bewegt. Klickt man sich durch Profile, die angeben, nach Sex zu suchen, hat man es noch häufiger als sowieso auf diesen Seiten üblich mit Profiltexten zu tun, die vorschreiben welche Körperform man doch bitte zu haben hat, wenn man gedenkt betreffende Person anzuschreiben. Das wirft natürlich die Frage auf, ob es beim Sex nicht eigentlich viel mehr um die Chemie miteinander geht und ob es wirklich Männer gibt, die nur bei schlanken, muskulösen Körpern einen hoch bekommen?

Vielleicht sind auch einfach alle so besoffen, wie ich das immer bin, wenn ich im Internet nach Sex suche, als sie ihren Profiltext verfasst haben, weswegen sie ihre Manieren völlig über Bord geworfen haben. Zugegebenermaßen kann ich hier nicht für alle sprechen, aber meine Wenigkeit schafft das Aushandeln von spontanen One Night Stands eigentlich nur im Rausch, da funktionieren klare Ansagen via Messages und aussagekräftige Bildchen natürlich nochmal völlig anders. Das letzte Sexdate habe ich wie fast immer volltrunken initiiert und mich mitten in der Nacht darauf eingelassen: eine halbe Ewigkeit auf die U-Bahn zu warten, drei Mal umzusteigen, mich bei der Haltestelle Vorgartenstraße wiederzufinden und mich auf die Suche nach dem Haus zu machen, in dem der gutaussehende 34-jährige Alex wohnt. Dort angelangt öffnet er mir in Unterhose (Boxers) und einem Bandshirt (Queens of the Stone Age) die Tür und ich denke mir nur: „Was für eine wunderbare Kombination!“ – und kann mir wenigstens bis jetzt noch sicher sein, dass meine Entscheidung, mitten in der Nacht durch halb Wien zu fahren, eine gute Idee war.

Alex zieht mich zu sich in die Wohnung und fängt an, mich zu küssen. Während ich von ihm in sein Schlafzimmer geführt werde und er mich auf sein Bett drückt, knöpft er mein Hemd auf und arbeitet sich langsam an meinem Körper runter. Ich merke, dass sich bei mir ziemlich wenig regt, schließe also die Augen und versuche, mich darauf zu konzentrieren mich zu entspannen – eine Kombination (sich konzentrieren, gleichzeitig entspannen) die erwartungsgemäß nicht ganz so gut funktioniert. Irgendwie ging das vielleicht doch alles zu schnell, zu allem Überfluss bin ich ja auch noch strunzvoll, für Sex ja definitiv ein Risikofaktor.

Damit nicht hier schon der Zeitpunkt eintrifft, an dem mein Gegenüber entweder seine Motivation oder seine beachtliche Erektion verliert, bewirke ich, dass wir uns auf dem Bett drehen, ich nun über ihm bin, sodass ich seine Vorgehensweise, mich langsam an seinem Körper runterzuarbeiten, imitieren kann. Mit einem tiefen Einatmen und einem lauten Stöhnen reagiert er darauf, dass ich anfange, ihn zu blasen. Impulsiv nehme ich seine Hände, führe sie zu meinem Kopf und signalisiere ihm, dass er sich ein wenig an meinen Haaren festkrallen und meinen Kopf runterdrücken soll. Das verfehlt glücklicherweise nicht seine Wirkung auf mich und auch ich werde hart. Deswegen verlangt Alex mit fordernder Stimme, dass ich ihn endlich ficken solle.

Ein Kondom übergezogen und genug Gleitmittel aufgetragen dringe ich in ihn ein. Leider schaffe ich es nicht einmal betrunken, meinen Kopf ganz auszuschalten. Stattdessen fürchte ich mich durchgehend davor, unter dem sogenannten Phänomen eines „whiskeydicks“ zu leiden, also vorzeitig zu erschlaffen. Außerdem bin ich nicht ganz bei der Sache, weil ich mir unsicher bin, ob es Alex wirklich so viel Spaß macht, wie er versucht, durch sein immergleiches Stöhnen zu signalisieren. Er ist zusehends davon genervt, dass ich nicht ganz bei der Sache bin. ZACK! Schon habe ich ein Dejá Vu, wie sich One Night Stands im schlimmsten Fall anfühlen. Man jagt unmotiviert durch verschiedenste Sexstellungen, als wäre man in einem Porno und hat dabei aber nur mäßig Spaß, weil man zum Gegenüber keinerlei emotionale Bindung hat. Schneller Sex kann gut sein, er kann aber auch in die Hose gehen.

Mittlerweile sind wir in der schwulen Version der Missionarsstellung angelangt, ich stoße immer weiter zu und frage mich dabei, ob es nicht mittlerweile etwas zu lang dauert? Manchmal traut man sich ja betrunken etwas mehr und manchmal kann man betrunken tatsächlich gute Entscheidungen treffen. Ein letztes Mal schaue ich Alex dabei zu, wie er noch immer gespielt ekstatisch stöhnt, dann höre ich einfach auf, ihn zu penetrieren, ziehe meinen Willy raus, lege mich neben ihn und fange an, ihn zu wichsen während ich seinen Nippel lecke. Zuerst etwas überrascht schließt er schon wenig später seine Augen und ein weniger gespielt-klingendes tiefes Atmen und Schnaufen verraten mir, dass ich endlich alles richtig mache. Nach wenigen Minuten kommt Alex heftig und erleichtert (erleichtert wahrscheinlich vor allem darüber, dass der Abschluss dann doch noch im wahrsten Sinne des Wortes befriedigend war).

Es soll ja wirklich jeder schwule Mann machen, was er für richtig hält, aber ich bearbeite mein Grindr-Profil dann doch – zumindest vorläufig. Bei „Looking for“ muss zumindest für die nächsten Tage nicht mehr die Suche nach „Right Now“ stehen.

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